Wir sind sehr entspannt und mit vielen bunten Ideen aus den Ferien zurück! Haben nämlich vorsorglich gut geplant und richtig viel Luft gelassen, für Dinge wie Einschulung und wieder Ankommen im Alltag. Sogar neue Sneaker wurden gekauft, um bis Weihnachten gut auf der Spur zu bleiben.
Dann kommt natürlich immer alles anders - als in der Theorie. Für die Kinder und uns war der Start in Wirklichkeit nämlich alles andere als luftig - und neue Air Jordans helfen bei viel Emotionen und Ängsten eben auch nicht so richtig, auch wenn sie gut aussehen.
Da türmen sich plötzlich in der 4. Klasse unüberwindbare Mengen an Hausaufgaben und zu wenig Ruhe in der Mittagsbetreuung. Es gibt auch Erstklässler. die schon an Tag 2 auf keinen Fall mehr in die Schule wollen (nieeee wieder). Oder als Kirsche on top klappt das Immunsystem direkt nach ersten Schulwoche zusammen. Bingo!
Hatten uns eigentlich gar nicht für den Hürdenlauf angemeldet. Eher so gemütliche Langstrecke ohne Zeitlimit… Auch schon wieder Lust auf Urlaub?
Spaß - natürlich binden wir uns die Schnürsenkel jetzt mit Doppelschleife. Haben uns in diesem Newsletter wegen unserer eigenen Hürden ein bisschen deeper in das Thema Schulsystem gearbeitet und dafür 2 kreative Lehrerinnen interviewt. Parallel dazu haben wir aber auch so doll Lust, uns endlich wieder mehr auf uns und unser kleines Dorf zu fokussieren. Es geht weiter im tinyville und wir freuen uns richtig drauf.
Der Herbst wird gut, der Weg ist (fast) wieder frei!
Leonie und Taimie kennen sich aus dem #instalehrerzimmer und inspirieren sich hier gegenseitig, neu und anders zu unterrichten. Der Austausch, der im echten Lehrerinnen-Leben oft fehlt, ist dafür auf Social Media umso stärker. Und weil das Thema so ein großes ist, freuen wir uns riesig, dass wir direkt beide ausfragen durften! Einen Auszug gibts hier für euch - zum ganzen Interview kommt ihr über den Button am Ende.
Wie offen ist unser Schulsystem für kreative Lehrmethoden?
Taimie:Ich würde behaupten, das deutsche Schulsystem ist starr. Das zeigen die Curricula, die noch immer währende Ferienordnung oder auch der Einsatz von Noten. Für Individualität ist da wenig Spielraum. Die Schulgesetze sind einfach “gesetzt”. Vieles muss beantragt oder bewilligt werden. Oft von Menschen, die lange keinen Schritt mehr in Schulen gesetzt haben oder sich ebenfalls wieder an Vorgaben halten müssen. Dazu kommt der Anspruch der Gesellschaft an Schule. Es wird erwartet, nach dem Prinzip XY zu agieren. "Individualität” bedarf dann Mut. Und manchmal auch ein dickes Fell.
Leonie:Der Lehrplan enthält ganz viele Elemente, die sagen, dass wir individuell, offen und aufs Kind bezogen arbeiten sollen. Die Proben sind, zumindest bei uns in Bayern, meist noch das Problem: Alle müssen zur gleichen Zeit das Gleiche schreiben. Das macht es schwer, im eigenen Tempo, mit den eigenen Methoden zu lernen - wenn man bis zum Tag x alle Inhalte haben muss, um eine bestimmte Probe zu schreiben. Viele Kinder sind dann noch mittendrin im Lernprozess und denken nach einer schlechten Note “Ich kann es nicht.” Dabei waren sie einfach noch nicht da, wo das Wissen hätte abgeprüft werden können.
Ansonsten arbeiten schon so viele, auch ältere, Lehrkräfte anders. Aber: Um anders zu arbeiten, muss man komplett hinter dem stehen, was man macht und auch mit Gegenstimmen umgehen können. Es werden einem immer Hürden an der Regelschule (auch an anderen Schulen) begegnen. Aber ich habe schon das Gefühl, dass gerade eine kleine Bewegung entsteht und diese Bewegung zu einer Revolution werden könnte.
Was empfehlt ihr Eltern, die sich im Schulalltag etwas hilflos fühlen und ihr Kind richtig begleiten möchten?
Taimie: Ich glaube, es ist immer richtig, sein Kind von innen heraus zu stärken und Druck zu nehmen.“Mira und das fliegende Haus” hilft dabei sehr. Auch den Einsatz von Affirmationskarten (wie z.B. die von Frau Ottilie) schätze ich. Oft gibt es auch theaterpädagogische Kurse zur Ich-Stärkung, da kann einem z.B. die städtische Familienberatungsstelle oder Schulsozialarbeiterin helfen. Wenn es um das Lernen (auf Augenhöhe) geht, empfehle ich ganz oft die Instagram-Profile @learnlearning.withcaroline oder @liniert.kariert - letzteres auch, wenn es sich um ein neurodivergentes Kind handelt.
Leonie:Genau das - verschiedene Quellen, Literatur, Webseiten, Influencer, Podcasts. Sich damit auseinanderzusetzen, wie man erziehen will, welche Methoden man nutzt, wenn man nicht mehr weiterkommt. Und auch beim Elternabend ansprechen, dass man sich Empfehlungen von der Lehrkraft wünscht. Es gibt mittlerweile so viele Medien, die helfen. Neulich war z.B. ein Digital-Coach auf Antenne Bayern und wir haben den Eltern empfohlen, sich abends mit den Kindern vors Radio zu setzen.
Im Workspace stehen wir alle an unterschiedlichen Punkten - und sind alle etwas lost. Welche Tipps habt ihr für: Schulanfang, letztes Jahr vor dem Schulwechsel und für das erste Jahr an der weiterführenden Schule?
Taimie: Bei uns ruckelt es auch immer wieder, sobald sich die Strukturen ändern. Akzeptanz, Zeit und eine Prise Gelassenheit helfen mir (persönlich) sehr. Ich versuche mich auf wenige, aber für mich wichtige Dinge zu konzentrieren. Das gibt mir Sicherheit. Und in den Dialog zu gehen. Feste Absprachen zuhause (z.B. sonntags Familienkonferenz und Planung der kommenden Woche). Regelungen im Beruf (in meinem Fall ein fester Arbeitstag zum Abarbeiten von schulischen Dingen).
Und Rituale (Affirmationen nach dem Abendbrot, “dran gedacht” - Abhakliste für das Schulkind am Morgen). Was auch hilft: das Wissen, dass man nicht alleine ist und der Austausch darüber. Und wenn man kann: das Auslagern von Dingen und die Bildung von “Dörfern”. Sich in anstrengenden Zeiten z.B. gegenseitig zu bekochen.
Leonie:Zum Schulanfang gibt es ein Buch von @liniert.kariert - unbedingt lesen! Und dann mit dem Kind viel und v.a. positiv über die Schule reden.
Vor dem Schulwechsel: Als Eltern ganz viel den Druck rausnehmen. Ganz viel thematisieren: "Die Noten spiegeln nicht wider, wer du bist.” Die Kinder stärken, ihnen sagen, worauf es ankommt. Ihnen zeigen, wer sie sind - z.B. mit der Stärkensonne. Dann mit dem Kind versuchen, Lernstrategien zu finden. Einfach unterschiedliche Methoden von z.B. @learnlearning.withcaroline ausprobieren. Und die Kinder mehr in die Selbständigkeit bringen, z.B. einen Wochenkalender im Kinderzimmer aufzuhängen. Dort einzutragen, wann die Probe geschrieben wird und sie dann begleiten: "Schau mal, jetzt hast du noch sieben Tage, noch sechs - was nimmst du dir vor?” Einfach schon früh den Weg bereiten für die Selbständigkeit, die sie auch später im Studium oder im Job brauchen.
An der weiterführenden Schule: Bestärken, eng begleiten. Mich einbinden und mir Dinge zeigen lassen, gerade auch, was Medienthemen betrifft. Fragen, was die Kinder dort machen. Nicht kontrollieren, sondern mich wirklich interessieren. Und auch mal zeigen, was ich selbst mache. Den Kontakt zum Kind behalten und auf neue Weise vertiefen.
Welche (kreativen) Methoden aus eurem Unterricht könnt ihr uns auch für das Begleiten unserer Kinder zuhause an die Hand geben?
Taimie:Ich würde immer in den Dialog gehen und Bedürfnisse abklopfen. “Was brauchst du (gerade)? Wie können wir das zusammen erreichen?” Im Anschluss reflektieren: “Wie war es? Was können wir beim nächsten Mal noch anders machen?” Offen sein für Vorschläge, wenn es um die zeitliche Struktur der zu erledigenden Aufgaben geht. Um die Ecke denken: andere Lernorte wählen, Vokabeln an das Fenster oder auf Post-its schreiben.
Leonie:Da kann ich nur zustimmen. Ichentwickle alles mit den Kindern, auch mit den Eltern. Ich frage immer: “Ist es okay für euch? Ich habe mir Folgendes überlegt, was haltet ihr davon? Habt ihr noch Verbesserungen?" Und das würde ich auch mit den eigenen Kindern zuhause machen. Sie miteinbeziehen. Rituale und Regeln schaffen. Zu versuchen, alle Bedürfnisse zu erfüllen, die im Raum stehen. Auch mal sagen “Du, das kriegen wir heute nicht hin, aber ich schreibe es mir fürs nächste Mal auf.” Sich das merken und auf Augenhöhe zuhören und kommunizieren. Das Kind wirklich sehen.
Um Lernfortschritte zu zeigen, gibt es eine schöne Übung im Buch von Caroline von St. Ange, in der man eine Klopapierrolle nimmt und alles aufschreibt, was man schon mal gelernt hat. Angefangen vom Laufen, Essen und Haare kämmen. Das sind ja alles Dinge, die man nicht konnte und gelernt hat. So wird den Kindern bewusst, dass alles ein Lernprozess ist und was sie alles schon gelernt haben.
Und: Sagen, wenn es einem nicht gut geht. Das mache ich auch, indem ich den Kindern z.B. sage “Ich habe heute Halsweh und kann nicht mehr so laut reden. Könnt ihr mich da unterstützen?” Kinder entwickeln so viel Empathie. Wenn man es von Anfang an macht, dann sind sie auch offen dafür.
Danke für das schöne Interview, Taimie und Leonie!